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Oder: Lektion über den Schein und seine Erfahrung

Ich wähle mir einen Namen, eine Charakterklasse und auch eine Rasse und Geschlecht, Hautfarbe und Frisur, sogar das Gesicht ist meine Kreation nach vorgefertigten Möglichkeiten. Bestimme ein Passwort – Zugang zu jenem geheimen Weltprotagonisten, dessen Bedienelement ich mit diesem Moment zu sein habe. Ich werde seine Bewegungen steuern, seine Handlungen orientieren, seine Worte sprechen, seine akrobatischen Kunststückchen befehlen.

Die Rede ist von einem Phänomen der Computerspielewelt: World of Warcraft. Konzeptioniert als ein Rollenspiel für Massen eroberte es in ungeheuerlicher Manier die Festplatten der Weltgemeinschaft der Spieler. Gefeit schien niemand, gereizt und geködert viele.

Angehalten eine heroische Geschichte zu verfolgen, schwelgen die Spieler in der unaufhörlichen Spirale, „ihren“ Charakter zu verbessern, ihn zu „leveln“. Es scheint, als habe sich der Designer der Vorstellung bedient, eine Person entwickle sich mit ihren Erfahrungen zu etwas „Anderem“, „Besseren“, „Größerem“. Über Aufgaben hinweg, die Vieles umfassen können, zumeist aber im primitiven Abschlachten von Monstern befangen bleiben, erobert der Spieler seinen Charakter mehr und mehr, entdeckt seine Vorzüge und Möglichkeiten, ganz so wie evolutionäre Kindspsychologie uns die Entwicklung vom Kinde zum Jugendlichen und von diesem zum Erwachsenen glauben macht. Dabei kommuniziert er mit anderen Charakteren (mithin Menschen), die er in die Bewältigung seiner Aufgaben opportunistisch einzubinden hat. Er lernt das Handeln mit Gegenständen, die er auf seinen „Raubzügen“ durch die Welt von Warcraft ergattern konnte, weiss den Nutzen einzuschätzen und erfreut sich des schieren Zuwachses seines Reichtums an „Erfahrung“ und materiellen Götzen, wie Gold oder „seltene Gegenstände“. Hat also ihr virtueller Zwilling seine Sache gut gemacht und einen „Gegner“ ausschalten können, „dropt“ (die Leiche wird durch den Spieler untersucht und birgt Hinterlassenschaften) dieser irgendetwas, immer aber ist es Kupfer, Silber oder gar Gold. Jene Hinterlassenschaften sind es, die einen Charakter zu Reichtum oder einem Ausrüstungsstand verhelfen, der Andere neiden läßt. Erstaunlich, wie präzis und ehrlich hier die Adaption gelungen ist.

Tatsächlich nennen die Designer des Spiels das Quantum an getöteten Gegnern und die pro Tötung verteilten Werte „Erfahrungspunkte“. Diese Punkte nun geleiten den Charakter von Stufe zu Stufe, bis das er die magische, aber nur vorläufig letzte Stufe Einhundert erklommen hat. Als lebten jene Figürchen ein virtuelles Leben, hat man ihnen Berufe wie den des Schneiders oder Bergmannes zuzuteilen, Hobbys anzudichten, wie Angeln, oder die sogenannte „Erste Hilfe“, kleidet sie zu festlichen Anlässen wie Hochzeiten oder Tanzabenden, denn auch darauf verstehen sich die vielseitigen Pixelberge. Es scheint ein harmloses Barbyspielen auf „höherem“ Niveau.

Ganz so verhält es sich leider nicht. Dieses Spiel ist kein Versuch eine andere Welt zu beschreiben, sondern die konsequente Umsetzung eines Ablösungsversuches von empirischen Weltzusammenhängen. Die offensive Umsetzung und Vereinnahmung realer Mechanismen, wie beispielsweise eines Auktionshauses, zeigt uns die dreiste Absicht der Designer: Nachbildung im Sinne eines Ersatzes. Denn machen wir uns klar: dieses Spiel „spielen“ Kinder! Und glauben Sie etwa, dass Kinder die spezifische Grenze von Imago und Realität in jedem Moment ihrer Welterfahrung reflektieren? Aber genau dies fordert „World of Warcraft“, will es unschuldig sein! Die detailgenaue Nachbildung unserer Welt mit all ihren Errungenschaften und Absurditäten, gezwungen in eine augenscheinlich fremde Fantasieorgie ferner Mythen birgt die eine große Gefahr: den Verlust des Sinnes für Realität, nicht, weil hier Realität nicht erreicht würde, vielmehr da Sinne hier auf nichts mehr beziehen, das erfahrbar wäre und so Gehalte bilden könnte, die wir als solche das Reale nennen würden.

Abgesehen aber von dieser düsteren und schwer nachweißlichen Vermutung ist eine Gefahr sicher eminenter, als jeder Verlust an Realität. Das Abhandenkommen an Zeit. Denn sie ist es, die dieses Spiel zu einer echten Drohung für die Gestaltungsfähigkeit der Kinder werden läßt. Komponenten dieser spielerischen Erlebens zielten dezidiert darauf, Zeit so einfach wie nur möglich zu vertreiben. Die Effektivität der Wiederholung ein und derselben Tätigkeit entscheidet hier, ob die „investierte“ Zeit auch Früchte innerhalb des Spiels trägt. Mit Kreativität jedoch hat das nichts gemein. Es wird stumpf das wiederholt, was an spärlichen Aufgaben vorgegeben ist – ein Sisyphos, der verkrampft versucht ist, ein noch großartigerer Sisyphos zu werden. Wohl dem, der Wiederholungen verschmäht. Ohne dieses Moment geistiger Trägheit ist World of Warcraft nicht denkbar, erzogen werden hier Fließbandkinder, die in oftmaliger Wiederholung von Abläufen „Schöpferisches“ erleben.

Dem Internet schon lange zum Vorwurf erklärt, mindere es die soziale Interaktion und reduziere sie auf ein kaum mehr wahrnehmbares Maß an „echter“ menschlicher Zuwendung. World of Warcraft setzt diesen „Mangel“ jedoch bewußt um, erlaubt sich, die Makel realer Kommunikation auf ein dezidiert gemindertes Maß herunterzubrechen.

Kinder lernen ein vollkommen anderes Vokabular! Es werden spezifische Ausdrücke geschöpft, die weder aus dem Englischen kommen, noch dem Deutschen, vielmehr eine erstaunlich kreative Mitte bilden zwischen den Bedeutungen und übrigens auch Grammatiken. Sprachwelten, die lediglich Datenbanken beschreiben, starre Mechanismen rezitieren ohne auf etwas zu weisen, das wirklich wäre.

Das Spielchen ist nicht weniger als negative Realität, nicht als Zerr-, sondern als Abbild dessen, was einige Menschen für das Reale halten. Ökonomische Verdrängung, Wiederholung stupider Produktionsläufe ahmen kongenial das nach, was man als industriellen Nexus moderner Gesellschaften deuten könnte. Wachstum im Quantum, Komplexität in der Maximierung von Simplifikation, qualitatives Schwächen des Sozialen im Akzent des Zählbaren.

Maskiert hinter einer comicartigen Scharade hyperrealisiert sich eine Täuschung, die absurde Biographien nährt, Menschen, die kreativ und affin zu in sich ruhenden Konzepten in eine Welt sinken, die sie völlig durchschauen und durchherrschen im Irrtum, davon zu profitieren. Ehrgeiz nährt so Hierarchien, Rangfolgen die sich sportlich gerieren, aber dann bis ins quasi Soziale reichen, um so ganze Parallel-Gesellschaften zu gestalten, „E-Sport“ genannt.

Tatsächlich aber profitiert nur jener, der den Spielautomaten aufstellte, und die Münzen aus den Einwurfschächten fischt: hier Blizzard Entertainment.

Ein erfolgreiches Konzept. Psychologisch so invasiv wie destruktiv. Mannigfach nachgeahmt.

Eine ganze Industrie nährt sich aus jenen Erkenntnissen der sozialen Verödung, die den hypersensiblen Weltbürgern die Sinne so verätzt, dass sie die grellen Idiosynkrasien des globalen Zeitalters in seinen schieren Ansprüchen nur so zu ertragen ist, dass bloß vorgestellte Kontrolle das Scheinbare zur Welterfahrung stilisiert, um das nicht zu Ertragende realer Wirklichkeitsschau als nicht relevant abzulösen.

Und kaum jemand widerspricht. Ich will es hiermit getan haben.

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